Der Verein Kunstwoche Jesteburg e.V. bespielt seit 2006 das Kunsthaus Jesteburg und hat es sich zur Aufgabe gemacht dazu beizutragen, das Kunsthaus sowie auch Jesteburg, mit seinen zahlreichen kulturellen Initiativen, zu einem Ort für richtungsweisende Kunst der Gegenwart werden zu lassen. Der im Jahr 2000 gegründete Kunstverein liegt im Ortszentrum, in direkter Nähe zum Rathaus und fußläufig zu anderen Kunst- und Kultureinrichtungen des Ortes.
In wechselnden Gruppen- und Einzelausstellungen stellt das Kunsthaus Jesteburg verschiedene, nationale und internationale künstlerische Positionen vor, mit einem Fokus auf das Schaffen junger Zeitgenossen. Das Kunsthaus will Plattform sein für die jüngsten Tendenzen und Strömungen in der zeitgenössischen Kunst und stellt diese auch zur Diskussion. Ziel ist es, Kunstproduktion in Form von Ausstellungen zu fördern und die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst zu betonen. Dabei richtet sich das Kunsthaus Jesteburg an Zielgruppen aller Altersklassen und legt besonderen Wert auf eine zielgerichtete Vermittlung, die auf die jeweiligen Ausstellungsbesucher zugeschnitten ist.
Ein Fokus des Ausstellungsprogramms 2016 liegt auf der Kooperation mit der Kunststätte Bossard und dem Ort Jesteburg. Der Künstler und die historische Person Johann Michael Bossard liefern zahlreiche, inspirative Ansatzpunkte für zeitgenössische Künstler. Es lassen sich thematische Verbindungslinien vom Werk und Wirken Bossards zum Gegenwartsdiskurs ziehen, auf deren Basis sich interessante Blickwinkel auf die Kulturpolitische Situation heute, soziokulturelle Praktiken wie Eklektizismus und Bricollage, aber auch auf die Lebensrealitäten zeitgenössischer Künstler eröffnen können.
Der Künstler Thomas Baldischwyler wird Mitte April 2016 eine Ausstellung im Kunsthaus Jesteburg eröffnen, der eine monatelange, wissenschaftliche Recherche und Forschung zu Johann Michael Bossard vorausging. Dies geschah in enger Kooperation mit Dr. Gudula Mayr, der Direktorin der Kunststätte Bossard. Die darauf folgende Ausstellung der Berliner Künstlerin Monika Michalko wird ebenfalls Bezüge zum Werk Bossards herstellen, die allerdings stärker formal geprägt sind.
Ein Ziel beider Ausstellungen ist es zu betonen, wie viele inhaltliche und formale Bezüge sich von Johann Michael Bossard zur Gegenwartskunst herstellen lassen, ohne dass einer der Künstler seine künstlerische Praxis verlassen oder anpassen musste.
HOLGER STEEN Februar 2016
Edvin Adler ist Abenteurer, Bonvivant und Poet. Er ist Hafenarbeiter, Holzfäller, Monteur, Handlungsreisender, Kraftfahrer, Spieler, Faulenzer, Kranker, Moderator, Maler, Sternenwanderer und Bademeister. Er ist auch ein leidenschaftlicher Komponist kleiner klarer Melodien, die in seiner Gruppe „Tulip, die singende Tulpe“ schon zu großer musikalischer Reife gelangt sind.
Er hat Erlebnisse gehabt und Erfahrungen gemacht, von denen er glaubt, dass es sich lohnt, von ihnen zu berichten. Er macht sich Notizen und erzählt aus dem Gedächtnis. „Er ist echt!“ meint ein Freund, ein anderer sagt, er sei nicht ganz echt. Die Tagesform ist entscheidend, ob er bei den Menschen Spuren hinterlässt, und welche
Seit 2005 widmet sich der Hamburger Künstler Holger Steen unter Zuhilfenahme seines Pseudonyms „Edvin Adler“ intensiv der Briefmarkenkunde, anders ausgedrückt der Philatelie. Der Begriff „Philatelie“ wurde zum ersten Mal 1864 in einer Briefmarkensammelzeitschrift verwendet. Zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern „phílos“ (Freund) und „atéleia“ (Abgabenfreiheit) setzte sich der Begriff rasch in allen Sprachen durch, obgleich er sich rein logisch nicht so rasch herleiten lässt – vermutlich, weil er an Ausdrücke wie „Philosophie“ oder „Philanthropie“ erinnert.
Edvin Adlers hauptsächliches Interesse gilt den Briefmarken Deutschlands bis 1933 – also den Marken der altdeutschen Staaten und des deutschen Reichs sowie seiner Kolonien. Im Rahmen einer Performance präsentiert der Künstler handverlesene Fundstücke und obskure Inhalte, lässt sich zu abenteuerlichen Schlüssen hinreißen und gibt seinem Publikum eine Anleitung zum Träumen.
Auf den Auktionsplattformen dieser Welt „jagte“ er den seltensten Briefmarken hinterher und wurde dabei nicht nur zum Experten für deren besondere Beschaffenheit und Gestaltung, sondern erforschte dabei auch die historischen Zusammenhänge ihrer Entstehungsgeschichten.
THOMAS BALDISCHWYLER 17.April 2016
Thomas Baldischwyler wurde 1974 in Lage / Lippe geboren. 2006 beendete er sein Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Er erhielt verschiedene Preise und Stipendien, unter anderem ein Residenz-Stipendium der Philipp-Otto-Runge-Stiftung und den Förderpreis des Westfälischen Kunstvereins Münster. Neben regelmäßigen Ausstellungen in Hamburg hatte Baldischwyler Einzelausstellungen in Münster, Berlin und Sidney. In Hamburg, wo er heute lebt und arbeitet, betreibt er auch sein eigenes Musiklabel.
Baldischwyler arbeitet mit wechselnden Medien. Je nach Thema und Kontext verändern sich die Produktionsweisen und -zusammenhänge. Hierzu gehören Musikprojekte, Filme und künstlerische Sujets wie Collage, Hinterglasmalerei, Installation und Photographie. In seiner visuellen und auch auditiven Produktion werden immer wieder kulturhistorische Zeichen und Techniken vereinfacht um durch diese Simplifizierung Erkenntnisse über Grund und Bestand von Geschichtsschreibung zu erlangen. Baldischwyler arbeitet höchst konzeptuell und lässt im Zuge dessen den Aussellungsort, dessen räumliche, soziale, geografische und historische Bedingtheiten, mit in seine Arbeiten einfliessen.
Für seine Einzelausstellung im Kunsthaus Jesteburg wird sich Thomas Baldischwyler intensiv mit der Person Johan Bossard und dessen Werk auseinandersetzen undintensiv zur Vergangenheit des Ortes und zur Geschichte der Kunststätte Bossard forschen. Er plant dabei, ein besonderes Augenmerk auf die Selbstvermarktung Johann Michael Bossards zu legen. Die installativ inszenierten Arbeiten, die im Kunsthaus Jesteburg zu sehen sein werden, werden folglich eine zeigenössische, künstlerische Reflexion über das Werk und Wirken Bossards und dessen Bezüge zur Gegenwart abbilden. Wir sind im Zuge dessen sehr dankbar für die Kooperation mit Gudula Mayr und dem Team der Kunststärre Bossard.
ANDRÉ MULZER UND CHARLOTTE LIVINE Juni 2016
Andrè Mulzer lebt und arbeitet in Hamburg. Als Vertreter des melancholischen Künstlertypus‘ hat es ihn zur Rapmusik und zu leidenschaftlichen Trashprojekten gezogen. Seine Mittel sind dementsprechend vielfältig und reichen vom Sprechgesang über Malerei und Collage bis zur Performance und Installation. Andrè Mulzers Wille zum Erfolg steht im krassen Gegensatz zur Verfassung seines Gemütes. Aus diesem Konflikt ziehen seine Arbeiten zu einigen Teilen ihren Reiz. Im Sommer 2015 machte er Diplom an der HfbK Hamburg (Klasse Prof. Michaela Melián) und erhielt das Stipendium zur Förderung des künstlerisch-wissenschaftlichen Nachwuchses der Hamburger Hochschulen (Stipendium in Höhe von 15.000 Euro). Des weiteren setzte er sich mit seinem Konzept gegen über 200 Bewerber auf das Reisestipendium des Vereins Neue Kunst in Hamburg durch.
Charlotte Levin ist gebürtige Pariserin. Seit kurzer Zeit lebt und Arbeitet sie in Hamburg, wo sie 2014 ihren Bachelor of fine Arts an der HfbK Hamburg machte. Levin arbeitet sehr dramaturgisch und erarbeitet für ihre installativen Raumarbeiten Drehbücher und Regieanweisungen. Die Ausstellungsbesucher sind angehalten diesen Drehbüchern zu folgen und werden somit von Betrachtern zu Akteuren in einer von der Künstlerin konzipierten Kulisse.
Gemeinsam werden Chalotte Levin und André Mulzer eine temporäre, raumgreifenden Installation für das Kunsthaus Jesteburg konzipieren, inspiriert durch verschiedene, lange Spaziergänge durch Jesteburg und seine Umgebung. Die Installation wird die Eindrücke der Künstler widerspiegeln und auf diese Weise ebenfalls einen sehr eigenen „Spaziergang“ durch Jesteburg anbieten.
MONIKA MICHALKO September 2016
Monikal Michalko wurde 1982 in Sokolov, damals Tschechoslowakische Sozialistische Republik (CSSR) geboren. Aufgewachsen ist sie in Nürnberg. Zwischen 2003 und 2009 studierte Michalko an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Die Malerin erhielt zahlreiche Stipendien und Förderungen, die Liste ihrer Ausstellungen summiert sich auf über 40, davon diverse Einzelausstellungen.
Bunte, surreal anmutende Malereien und Installationen bestimmen die künstlerische Arbeit von Monika Michalko. Inspiriert von der Ferne, von diversen Reisen lässt sie Erinnerungen in Form von Traumlandschaften, abstrakten Apparaturen und fantastischen Stadtansichten in ihren Arbeiten aufleben. Die künstlerische Praxis von Monika Michalko ist von einem intensiven Umgang mit dem Raum und dessen künstlerischer Aneignung gekennzeichnet. Im Kunsthaus Hamburg fertigte sie eine riesige Bodenarbeit aus Stoff, die die Besucher sanft durch die Ausstellung choreografierte. Besonders ihr sensibler, intuitiv geschulter und gut überlegter Umgang mit den unterschielichsten, räumlichen Situationen zeichnen das Werk der Künstlerin aus.
Michalko schafft in ihren installativen Arbeiten Räume, in der sich Kunst und Leben verschränken. Ihre Rauminstallationen sind durchsetzt von Skulpturen, die teils aus Keramik und teils aus vorgefundenen Materialien, die nicht selten von der Künstlerin umgearbeitet werden, bestehen. Dies erinnert an eine Skulptur von Johan Michael Bossard („Odin“) – ausgestellt wird diese Skulptur auf einem Sockel, der aus einem auf den Kopf gedrehten Brotkorb besteht. Ein sehr treffendes Beispiel für die Verschränkung von Kunst und Leben in Bossards Werk.
Die Künstlerin wird die Kunststätte Bossard besuchen, bereits bestehende, formale Parallelen herausarbeiten und ausloten, in wie weit ein Ort wie die Kunststätte Bossard inspirative Wirkung auf das Schaffen junger, zeitgenössischer Künstler haben kann.
ROMAN SCHRAMM November 2016
Die Erkenntnis, dass Marken und Produkte gestaltbare Persönlichkeiten haben, geht auf Ernest Dichter zurück, den Gründer der Motivforschung. Mit seiner Ansicht, die Manipulation menschlichen Verhaltens sei notwendig für den Fortschritt, war Dichter, der von 1946 bis zu seinem Tod 1991 als Berater von Unternehmen und Regierungen tätig war, für Zeitgenossen eine Gruselfigur. Heute wirken seine Thesen so nostalgisch wie der deutsche Titel seines Buches Strategie im Reich der Wünsche von 1961, nach dem Roman Schramm eines seiner Videos benannte (2009).
Darin führen Akteure vor schwarzer Kulisse absurde Interaktionen mit Lebensmitteln und anderen Objekten aus, mal lustvoll, mal trotzig den Betrachter adressierend, als sei er es, der für das Ganze verantwortlich ist. Hatten die Akteure von Andy Warhols Screen Tests (1964–6) Mühe, dem zudringlichen Blick der Kamera standzuhalten, sind hier die Zuschauer auf eine ungemütliche Position gerückt, wie auf einer Party, deren Regeln man nicht kennt. Ähnlich arbeiten auch Schramms Fotografien an der Verunsicherung der Grenzen zwischen Bild und Körper. Kommerziellen Strategien der Fetischisierung und Verführung begegnet Schramm nicht mit Dekonstruktion, sondern eignet sie sich in Überaffirmation an, so dass sie oft ins Absurde kippen. Auf der Fotografie Auster (2012) schwebt eine Austernhälfte in halluzinativer Schärfe hochkant in opakem Schwarz. Der Hyperrealismus einer Werbefotografie lässt ihre Organe und die dazwischen perlenden Luftblasen sich unter Umgehung des Verstandes an Zunge und Speicheldrüsen wenden, während die sachliche Klarheit klassischer Stillleben den Betrachter zugleich auf Abstand hält.
Frühere Serien wie Changing Objects (2006) zeugen von einer Vorliebe für konstruktivistische Experimente und die semantischen Sabotagen von Dadaismus und Surrealismus. Seine Beschäftigung mit Porträtfotografie brachte Schramm dazu, Personen gegen Industrieprodukte wie Sportschuhe (etwa die Serie Easytone, 2011) oder Locher (Leitz 5180, 2011) zu tauschen. Kann man dieser Konfrontation von Darstellungsroutinen mit ungewohnten Inhalten teils noch eine zugeknöpfte Komik vorwerfen, so treibt Schramm sein Spiel inzwischen weit über die Grenzen fotografischer Referenzialität hinaus.