Von Schweinen und Menschen: Der spanische Künstler Santiago Sierra wirft auf Kampnagel Griechenland den Schweinen zum Fraß vor. Ein Beitrag von Nicole Büsing & Heiko Klaas.
Bereits der Zigeunerbaron in Johann Strauß’ gleichnamiger Operette sang von Borstenvieh und Schweinespeck. Wenn jemand mit Schweinen Kunst macht, ist das meist durchaus provokant gemeint und sorgt für entsprechende Publicity. Der Belgier Wim Delvoye schockte 2008 die Kunstwelt, als er auf seiner “Art Farm” in China lebendige Schweine tätowierte und sie für 140.000 Euro das Stück an Sammler verkaufte. Und bereits 1997 erregten Rosemarie Trockel und Carsten Höller auf der Documenta X verstärkte Aufmerksamkeit mit ihrem “Haus für Schweine und Menschen”. Jetzt hat der Spanier Santiago Sierra, Jahrgang 1966, bekannt für spektakuläre Kunstaktionen, die soziale Gegensätze und politische Ausgrenzungen auf oft zynische Art und Weise visualisieren, im Rahmen des internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg sieben Schweinen Griechenland zum Fraß vorgeworfen. Auf dem mit schwarzer Folie ausgelegten Hallenboden hat der Spanier die hellenische Landkarte mit allen Inseln und Halbinseln aus einer speziellen Futtermischung nachgeformt. Am Samstag um 18 Uhr begann dann die publikumswirksame Aktion “The Hellenic Peninsula Devoured by Pigs”.
Sieben wohlgenährte Schweine betraten die an eine Stierkampfarena erinnernde Bühne und machten sich sogleich schmatzend über den Brei aus Ferkelfutter, Mehl, Haferflocken und Wasser her. Korfu war schnell verputzt, und im Peloponnes taten sich gleich zu Beginn große Löcher auf. Ein Sinnbild für die Euro-Krise? Sicherlich ist es so gemeint. Die Kapitalistenschweine fressen sich die Bäuche rund und vernichten Griechenland. Ein symbolhaftes, plakatives Bild, das jedoch nicht ganz aufgeht. Stehen die Schweine etwa stellvertretend für die Banker und Politiker der (Noch-)Wohlstandstaaten Nordeuropas, die sich den wehrlosen Inselstaat angeblich genüsslich einverleiben? Siegt der gnadenlose Kapitalismus, frei nach dem Motto, die Großen fressen die Kleinen, ohne dass man dem Lauf der Natur einen Riegel vorschieben kann? Oder stehen sie vielleicht für die Reichen und Korrupten im Lande selbst, die in einem Akt unflätiger und letzten Endes kannibalistischer Selbst-bedienungsmentalität die Lebensgrundlagen ihrer ärmeren Mitmenschen verschlingen.
Fest steht, Santiago Sierras Musterschweine, die übrigens von der Arche Warder, einem von Greenpeace bewirtschafteten Öko-Hof in Schleswig-Holstein stammen, räkelten sich nach einer halben Stunde zufrieden grunzend im halb zerstörten Landkartenbrei. Die Leitsau hatte zudem eine Kamera auf den Rücken geschnallt und filmte damit nicht nur die antihellenistische Fressattacke sondern auch das selbstzufriedene Theaterpublikum. Im Laufe des Abends wirkte die Szene dann immer mehr wie ein pastorales Idyll. Dabei hätte die Arbeit durchaus noch provokanter ausfallen können. Schließlich gilt Sierra als radikaler Tabusprenger, der bei jeder Gelegenheit die demütigende Verwertungslogik des kapitalistischen Systems bloß stellt. In den Berliner Kunstwerken ließ er einst Arbeitslose für einen Hungerlohn stundenlang in Pappkartons kauern. Vier Prostituierten in Salamanca finanzierte er einen Schuss Heroin als Gegenleistung dafür, sich eine Linie auf den Rücken tätowieren zu lassen. Wäre es da nicht konsequent gewesen, die properen Rasseschweine im Verlauf des Festivals selbst zu verfüttern? Der Bedarf des Hamburger Theaterpublikums nach Grillwürstchen, das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf das Gastrozelt, jedenfalls ist immens.
Santiago Sierra – The Hellenic Peninsula Devoured By Bigs
Kampnagel Sommerfestival 2012
Jarrestraße 20
D-22303 Hamburg
MI 15.08. 19:00
DO 16.08. 19:00
FR 17.08. 19:00
SA 18.08. 19:00
SO 19.08. 19:00
MI 22.08. 19:00
DO 23.08. 19:00
FR 24.08. 19:00
SA 25.08. 19:00