Architektur und Sexualität: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen in der Sammlung Falckenberg das weitgehend unbekannte zeichnerische Werk der in Berlin lebenden italienischen Künstlerin Monica Bonvicini. Ein Beitrag von Nicole Büsing & Heiko Klaas.
Geht es nach Monica Bonvicini, so ist die Architekturzeichnung an sich schon eine äußerst machohafte Angelegenheit. Treppen, Säulen, Raumfluchten und Fassaden auf feines Millimeterpapier gebracht, versteht sie als Ausdruck von Macht und Ausgrenzung, Härte, Dominanz und Herrschaftsdenken. Die Berliner Künstlerin mit norditalienischen Wurzeln setzt dieser männlichen Gebärde in ihren eigenen Zeichnungen einen starken, feministischen Gegenpol entgegen. Sie provozierte bereits in ihrer Videoarbeit “Wallfuckin’” von 1995 mit einer nackten Frau, die sich 30 Minuten lang an der harten Kante eines Mauervorsprungs sexuell stimulierte.
Monica Bonvicini: Desire, 2006. Diptych. Tempera and foil on Fabriano paper 200 x 300 cm. Photo: Fredrik Nilsen. Collection: Museum of Modern Art, New York. VG Bild-Kunst
In der Sammlung Falckenberg, der Außenstation der Hamburger Deichtorhallen in Hamburg-Harburg, sind jetzt unter dem Titel “Desire Desiese Devise – Zeichnungen 1986-2012” rund 400 Arbeiten auf Papier der 1965 in Venedig geborenen und seit 1986 in Berlin lebenden Monica Bonvicini zu sehen. Die international renommierte Künstlerin, die 1999 den Goldenen Löwen der Biennale Venedig und 2005 den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst erhielt, ist vor allem für ihre sexuell aufgeladenen Installationen und Skulpturen aus Stahl und schwarzem Leder bekannt. Die Themen Architektur, Sexualität, Gesellschaftskritik und Feminismus durchziehen jedoch auch ihr zeichnerisches Werk, das lange Zeit weitgehend unbekannt war. Das Verdienst der Hamburger Ausstellung, die in Kooperation mit dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach entstand, ist es, jetzt einen umfassenden Überblick über das zeichnerische Œuvre der provokanten Italienerin zu geben. Bonvicini bewahrte ihre “Disegni”, also Arbeiten auf Papier, über all die Jahre im Atelier auf. Nur ganz wenige Exemplare gelangten bisher in Privatsammlungen oder Museen.
Monica Bonvicini: Untitled, 2006. Tempera on Fabriano paper. 150 x 90.5 cm. Photo: Def Image. Courtesy by the Artist. VG Bild-Kunst
Die Hamburger Ausstellung greift nun in enger Kooperation mit der Künstlerin ordnend und nach Werkgruppen sortiert das zeichnerische Werk auf. Monica Bonvicini, die Jack Kerouacs Kultroman “On the road” als Motto für ihr nomadisches Leben nimmt, zeichnet überall: im Flugzeug nach Los Angeles, wo sie Anfang der Neunziger an der legendären CalArts studierte, in ihrem geräumigen Studio in Berlin-Wedding oder in Wien, wo sie seit 2003 an der Akademie der bildenden Künste eine Professur für Performance und Bildhauerei inne hat. In den USA kauft sie in Europa nicht erhältliche Zeichenutensilien, experimiert mit Zeichnungen auf Packpapier, zeichnet mit Asche oder gar mit dem Dreck ihres Atelierbodens.
Monica Bonvicini: Hurricane and Other Catastrophes ( #1), 2008. Black Tempera and spray paint on Fabriano paper. 150 x 189.6 cm. Photo: Jochen Littkemann. Courtesy by the Artist. VG Bild-Kunst
Ihre Collagen und Zeichnungen sind gespickt mit Textfragmenten und Zitaten aus Literatur, Songs, Architektur- und Kunstgeschichte. Monica Bonvicini konfrontiert Schlafzimmerinterieurs mit italienischer Baugeschichte. Sie benutzt schwule Bauarbeiterromantik oder Bilder von den Zerstörungen des Hurrikans Katrina 2005 in New Orleans als Folie für immer neue Bildfindungen. Emotionale Abgebrühtheit trifft auf soziale Ausgrenzung, bürgerliche Einrichtungsideale der Moderne auf die Vereinzelung und Gefühlskälte des Individuums.
Die Hamburger Ausstellung bietet jetzt allen Liebhabern des stark subjektiven, unmittelbaren Mediums Zeichnung die Gelegenheit, in die variantenreiche und pointierte Bildsprache Monica Bonvicinis einzutauchen. Der virtuose Umgang mit Raum, der seinen Widerhall auf Bonvicinis mal ganz klein und dann wieder monumental groß daherkommenden Papierarbeiten findet, manifestiert sich auch in der klaren Hängung der Ausstellung, die sich fast spielerisch in die weitläufige Industriearchitektur der Phoenixhallen einfügt.
Monica Bonvicini: Mies Corner, 2002. Edelstahl, Plexiglas, Temperafarbe auf Papier. 227 x 143 x 98 cm. Foto: Heiko Klaas
Monica Bonvicini: Desire Desiese Devise – Zeichnungen 1986-2012
Sammlung Falckenberg
Außenstelle der Hamburger Deichtorhallen in Harburg.
Phoenixhallen
www.sammlung-falckenberg.de
www.deichtorhallen.de
bis 18. November 2012. Besuch nur innerhalb von Führungen möglich (Mi und Do 18 Uhr, Fr 17 Uhr, Sa und So 11 und 15 Uhr). Anmeldung erforderlich unter besuch@sammlung-falckenberg.de oder 040-32506762
Ausstellungskatalog
erschien im Distanz Verlag, 354 S., 600 Abb., 58 Euro
Monica Bonvicini: Bedtimesquare (#1), 1999. Cut out and pasted printed paper, on paper/collage, 43.5 x 58.5 cm. Photo: Def Image. Courtesy by the Artist. VG Bild-Kunst