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Venedigs filigrane Geschütze

Im Sommer 2012 gehen die Runderneuerungen in den Gallerie dell’Accademia in Venedig weiter. Gleichzeitig kehren Alte Meister von ihren Ausstellungstourneen wieder zurück. Ein Museumsbesuch von Mathias Zintler.

Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.
Rainer Maria Rilke, Duineser Elegien

In Venedig wird an der Accademia weiter gebaut und in der vor Tagestouristen schützenden Sommerhitze, noch dazu im Nicht-Biennalejahr, wird es vielleicht ein letztes Mal vor der Fertigstellung möglich sein, die schönsten Werke der venezianischen Malerei im schönsten Museum der Welt in ihrer wunschverschlafenen Ruhe wiederzusehen. Und auch die kürzlich ausgeliehenen Arbeiten hängen wieder an ihrem gewohnten Platz. An Tintorettos Markuswunder wird mit Pinsel und Spray von Restauratoren noch gerade etwas zeitgenössische Hand angelegt, um es nach den „Vacanze Romane“ in den Scuderie Papali etwas aufzufrischen.

Dort wurde es im Rahmen der großen Tintoretto-Schau bis Ende Juni diesen Jahres gezeigt, hängt aber jetzt wieder gleich neben Veroneses Fest im Hause Levi. Interessant ist, dass das Neuauflegen von Farbe an diesem zwischen Vasari und Aretino so umstrittenen Frühwerk Tintorettos eine lange Tradition hat. Bereits 1970 berichtet John Steer über den Farbglanz des Markuswunders in seiner History of Venetian Painting vielleicht etwas zu überschwenglich: „Its bravura brush-work is of dazzling brilliance and the bright sharp colours (now restored to their original intensity by a recent cleaning) seem intended as a deliberate contrast to the more subdued harmonies of Titian’s work at the same time.” (John Steer, History of Venetian Painting, London 1970).

Jacobo Tintoretto: Das Wunder des heiligen Sankt Markus, 1548. Gallerie dell'Accedemia, Venedig.

Jacopo Tintoretto: Das Wunder des heiligen Sankt Markus, 1548. Gallerie dell’Accedemia, Venedig.

Auch die Bergung des Leichnams von St. Markus und die Erschaffung der Tiere sind im letzten Winter von ihrem Ausflug in die Giardini wieder an ihren angestammten Ort in der Accademia zurückgekehrt. Die Direktorin der letzten Biennale Bice Curiger erlaubte uns dort zusammen mit der letzten – von den insgesamt 7 in Venedig zu findenden – Abendmaldarstellung von Tintoretto aus San Giorgio Maggiore im Rahmen der letzten Biennale einen Close-up durch die, auch im Vergleich zur Accademia-Hängung, besonders niedrige und dadurch greifbarer Präsentation und die großartigen Teilaufnahmen im ILLUMInations-Katalog.

Schließlich ist auch Lorenzo Lottos Ritratto di Giovane Gentiluomo wieder zurückgekehrt, nachdem dieser letzten Sommer anlässlich der großen Lotto-Ausstellung in Rom etwas genauer unter die Lupe genommen wurde. Während bisher ein Großteil der Forschung davon ausging, der liebesleidende junge Mann wende sich – statt der Jagd und dem Lautenspiel – nunmehr der nüchternen Realität seiner Finanzplanung zu und schaue, wie man meinte, in ein Rechnungsbuch mit doppelter Buchführung, so ist man in Rom zu der Ansicht gelangt, dass es sich nicht um ein Rechnungsbuch, sondern um das Familienstammbuch handele. Die Trauer gelte dann möglicherweise dem Verlust der jüngst verstorbenen Eltern. Bernard Berenson, der seinerzeit als junger Kunstkritiker erstmalig nach Vasaris’68-Ausgabe eine umfassende Lotto-Monographie erstellte und sie zum Ende seines Schaffens noch einmal kritisch überarbeitete, schweigt sich über den Gegenstand des Buches aus.

Lorenzo Lotto: Ritratto Di Giovane Gentiluomo, 1527. Gallerie dell'Accademia in Venedig.

Lorenzo Lotto: Ritratto Di Giovane Gentiluomo, 1527. Gallerie dell’Accademia, Venedig.

Vielleicht kann das wissenschaftliche Gespräch in diesem Punkt noch nicht als abgeschlossen gelten und wir dürfen selbst noch etwas erkennen. Immerhin – anders als bei Caravaggio – beißt die kleine Eidechse hier nicht zu, sondern teilt offenbar den gefühlten Schmerz der unerfüllten oder verlorenen elterlichen Liebe.

Was fehlt? Nur Cima’s Ungläubiger Thomas. Doch der soll auch bald im neuen Farbglanz zurückkehren.

Gallerie dell’Accademia
Campo della Carità, 1050
30123 Venezia, Italien
Mo. 8:15 Uhr – 14:00 Uhr, Di.-So. 8:15 Uhr – 19:15 Uhr

 

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